14.08.2023

INTERVIEW 60 JAHRE BUNDESLIGA

INTERVIEW 60 JAHRE BUNDESLIGA

In Ihrer Zeit als Manager bei Bayer Leverkusen hat sich der Fußball rasant weiterentwickelt, das Pay-TV wurde eingeführt, die Gehälter stiegen. Was sind Ihre Erinnerungen?

CALMUND: Es gab so viele Momente, in denen eine andere Richtung eingeschlagen werden musste. Stellvertretend seien nur zwei genannt: das Bosman-Urteil von 1995, das unser gesamtes Transfersystem auf den Kopf stellte und gerade die Manager der Klubs zum völligen Umdenken zwang. Und die Kirch-Krise, die deutlich aufzeigte, wie wichtig ein stabiles System – gerade in Sachen TV-Vermarktung – ist.

Um welche Summen ging es damals?

CALMUND: Was die Gehälter anging, bewegten wir uns in völlig anderen Bereichen als heute. Selbst gut 25 Jahre nach der Gründung der Bundesliga kamen Spitzenverdiener wie Andreas Thom oder Ulf Kirsten als Bundesliga-Torschützenkönig des Jahrzehnts nach dem Mauerfall auf Jahresgehälter von rund 400 000 Mark. Dafür kriegst du heute keinen Ersatzspieler mehr. Später hatten sie das Glück, dass sie durch die wesentlich höheren TV- und Werbeeinnahmen auch Millionengehälter zum Ende ihrer Laufbahn verdienen konnten.

Hätte man etwas anders machen können, müssen?

CALMUND: Das Bosman-Urteil wirkt bis heute nach, siehe die langen Vertragslaufzeiten, die einerseits Chance, andererseits aber auch ein großes Risiko bedeuten. Das macht die Aufgabe für das Management viel schwerer als damals. Verrückte Ablösen, ständig steigende Gehälter – das ist das Ergebnis. Der Kern des Urteils – die freie Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der EU – ist längst mächtig angeknabbert.

Wäre die Einführung eines konsequenten Financial-Fair-Play und vor allem einer Gehalts-Obergrenze nicht die richtige Lösung gewesen?

CALMUND: Ganz klar ja! Allerdings hat die EU - trotz vieler Vorstöße der UEFA, u.a. auch durch hochdekorierte Vertreter wie Karl-Heinz Rummenigge, als Vorsitzender der European Club Association oder Michel Platini als Präsident der UEFA - dies klar abgelehnt. Der Kommentar der EU-Politiker lautete vereinfacht: Angebot und Nachfrage regeln in einem freien Land die Preise bzw. Gehälter.

Lassen sich Fußballromantik und das Geschäft überhaupt verbinden?

CALMUND: Wer heute mit den ganz großen Zahlen hantiert und dann funktionieren die Herren Fußball-Profis nicht – der wird kein Anhänger von einer Fußball-Romantik werden. Es bleibt dabei: Ohne Moos nix los. Die Formel zum Erfolg hat heute drei K: Kompetenz, Konzepte, Kapital. Ich hatte das große Glück, Menschen mit hoher Kompetenz kennenlernen zu dürfen, die auch alle die Bundesliga positiv geprägt haben.

Wer waren die prägenden Persönlichkeiten der Bundesliga?

CALMUND: Franz Kremer, Hermann Neuberger, Egidius Braun, Gerd Mayer-Vorfelder, Wilhelm Neudecker, Sepp Herberger, Helmut Schön, Robert Schwan, Wilfried Straub, Dr. Reinhard Rauball, Christian Seifert, Franz Böhmert, Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach, Werner Hackmann, Jogi Löw, Hans-Joachim Watzke, Heribert Bruchhagen, Michael Meier, und zuletzt durch ihre Doppelbelastung Verein und Verband auch Axel Hellmann und Oliver Leki. Außerdem waren Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Günther Netzer, Berti Vogts, Felix Magath, Rudi Völler, Rudi Assauer, Michael Zorc und Matthias Sammer nicht nur als Funktionäre, sondern auch als Spieler sehr erfolgreich. Das ist mein persönlicher Auszug, sicherlich gibt's noch viele mehr.


Bundestrainer Helmut Schön mit Franz Kremer, dem Präsidenten des 1. FC Köln und Mitgründer der Bundesliga.

Erfolgreiche DFB-Präsidenten Egidius Braun,

Gerhard Mayer-Vorfelder,

Hermann Neuberger

Hans-Joachim Watzke, Boss von Borussia Dortmund und der DFL, Rudi Völler Sportdirektor der Nationalmannschaft und DFB Präsident Bernd Neuendorf

DFL Neujahrsempfang 2014 Rauball, Völler, Seifert und Beckenbauer

 

Vernachlässigen Sie dabei nicht das aktive Potenzial der Trainer?

CALMUND: Nein, die Trainer stehen doch täglich in der Öffentlichkeit. Trotzdem nehme ich den Hinweis gerne entgegen und nenne mal die fünf Trainer mit den meisten Bundesliga-Einsätzen: Jupp Heynckes war über 1000 Mal als Spieler und Trainer in der Bundesliga aktiv und gewann auch mit Real Madrid die Champions League. Udo Lattek wurde mit 522 Spielen, acht Mal Deutscher Meister 6x mit Bayern und 2x Gladbach. Ottmar Hitzfeld mit 460 Spielen, sieben Mal Deutscher Meister. Otto Rehhagel mit 837 Spielen, er saß am häufigsten auf der Bundesliga-Trainerbank. Dazu gehören auch Friedhelm Funkel, er schaffte allein sechs Bundesliga-Aufstiege und Jürgen Klopp, momentan sicherlich das größte internationale Aushängeschild unserer Trainer. Ganz oben auf der Erfolgs-Liste steht natürlich auch Hennes Weisweiler, neben seinen Meister- und Pokal-Titeln mit Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln war er auch im Ausland erfolgreich. Darüber hinaus war er viele Jahre der Chef-Ausbilder der DFB-Fußball-Lehrer. Der DFB benannte die Trainer-Ausbildungsstätte auch in "Hennes-Weisweiler-Akademie" um. Mittlerweile findet der Lehrgang in Frankfurt am DFB-Campus statt.

Und die Profis? Welchen Anteil besitzen Sie an der Entwicklung der Bundesliga zu Premium-Produkt?

CALMUND: Wenn ich jetzt alle verdienstvollen Bundesliga-Spieler aufführen würde, müsstet ihr noch eine Sonder-Ausgabe drucken. Fritz Walter war ein großer Kämpfer für die Einführung der Bundesliga. Weltklassespieler wie Hans Schäfer, Maxl Morlock, Helmut Rahn, Uwe Seeler, Gerd Müller, Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Berti Vogts, Wolfgang Overath, Lothar Matthäus, Rudi Völler, Bastian Schweinsteiger, Oliver Kahn, Matthias Sammer, Jürgen Klinsmann, Philipp Lahm, Miro Klose, Thomas Müller, Manuel Neuer und als Vertreter der ausländischen Spieler Robert Lewandowski, haben diese Liga sportlich geprägt. Ganz vorne steht natürlich auch der Bundesliga-Rekord-Spieler Charly Körbel, der alle 602 Bundesliga-Spiele für Eintracht Frankfurt bestritten hat.

Wie geht man als Manager mit Millionensummen um?

CALMUND: Möglichst so, dass man immer weniger ausgibt, als man hat. Das ist wie zuhause.

Wie schauen Sie auf den Fußball heute? Gibt es zu viel Geld?

CALMUND: Ich bin ein großer Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Auch wenn Teile des politischen Establishments das derzeit anders sehen: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Punkt. Solange es jemanden gibt, der diese horrenden Ablösesummen zahlt, funktioniert das System noch.

Der FC Bayern hat sich meilenweit entfernt. Warum?

CALMUND: Weil dort sehr gut gearbeitet wurde und wird. Egal ob von den Mitarbeitern in langen Hosen in den Büros oder den Spielern in kurzen Hosen auf dem Rasen. Und wenn sie einmal schwächelten, dann waren die anderen Klubs eben nicht immer da – siehe Borussia Dortmund oder auch wir von Bayer 04 Vizekusen.

Warum hat der Konzern Bayer eigentlich nicht noch mehr Geld in den Klub gepumpt? Man hätte selbst mit den Super-Talenten Kai Havertz und vermutlich demnächst Florian Wirtz den FC Bayern ernsthafter gefährden können?

CALMUND: Der langjährige Sportchef der Bayer AG, Jürgen von Einem, hat das mal so erklärt: „Das ist Selbstbeschränkung aus einem ganz einfachen Grund: Der professionelle Fußball ist Bestandteil der Sympathiewerbung des Bayer-Konzerns und es wäre nicht sympathisch, wenn wir die Konkurrenz in der Bundesliga durch noch mehr Geld dominieren würden. Wir wollen uns dem fairen Wettbewerb stellen."

Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

CALMUND: Nach dem Bundesliga-Klassenerhalt 1996 führte Christoph Daum als neuer Cheftrainer ein junges und weitgehend billiges Bayer-04- Team direkt zur Vize-Meisterschaft und in die Champions League. Ich nenne stellvertretend für das damalige Team: Rüdiger Vollborn im Tor mit einer Ablösesumme von 20.000 D-Mark, Jens Nowotny (800.000 DM), Christian Wörns (950.000 DM), Robert Kovac (430.000 DM), Carsten Ramelow (750.000 DM), Nico Kovac (550.000 DM), Paulo Sergio (1.300.000 DM) Ulf Kirsten (3.600.000 DM), alle waren auch Nationalspieler.

Die Bundesligen sind weiterhin beliebt. Ist da eine Veränderung zu erwarten?

CALMUND: Nein, denn die Zuschauerentwicklung ist nicht nur im TV, sondern auch in den Stadien sehr positiv. In den ersten 30 Jahren waren es schon über 20.000 Zuschauer. In den vergangenen Jahren war die Bundesliga mit mehr als 40.000 immer Zuschauer-Weltmeister in einer wunderbaren Stadieninfrastruktur – knapp vor England, aber deutlich vor Spanien, Italien und Frankreich. Im Jubiläumsjahr lag die Zahl bei rund 43.000 Personen. Ein kleiner Einschub für die Pessimisten unter uns: Mit dem Aufstieg von Heidenheim und Darmstadt und dem Abstieg von Schalke und Hertha wird es eine Veränderung geben. Rund 75.000 fehlen aus Berlin und rund 63.000 von Schalke, also knapp 138.000, die fehlen und nur etwas mehr als 30.000 kommen aus Heidenheim und Darmstadt dazu.
Obwohl die Zuschauer also weiterhin in die Arenen strömen, liegt der Anteil des Ticket-Verkaufs am Gesamt-Etat bei nur rund 15 Prozent. Klarer Spitzenreiter sind die TV-Vermarktung und die damit verbundene Werbung mit rund 65 Prozent.

Warum ist die Premier League die Nr.1 der Welt, was machen sie besser?

CALMUND: Für die nächsten drei Jahre bekommen die englischen Profiklubs für die nationale und internationale TV-Vermarktung rund 12 Milliarden Euro, dass ist rund die dreifache Einnahme von Deutschland. Selbst der Tabellen-Letzte der Premier-League kassiert mehr als der deutsche Meister Bayern München.

Wann glauben Sie, ist der Höhepunkt in der Bundesliga erreicht oder lassen sich die Einnahmen weiter steigern?

CALMUND: Als kleiner Rückblick in die Geschichte: Zwei Jahre nach Gründung der Bundesliga, zahlten ARD/ZDF 640.000 DM jährlich. 1988 als wir mit Bayer Leverkusen UEFA-Pokalsieger wurden, zahlten ARD/ZDF bereits 18 Millionen DM. Ein Jahr später als die UFA und RTL die Rechte bekamen, waren es schon 40 Millionen DM. Mittlerweile werden rund 1,2 Milliarden Euro für die nationalen Rechte an die Bundesliga gezahlt. Hinzu kommen hohe Beträge aus der internationalen Vermarktung.

Läuft dieser Trend so weiter?

CALMUND: Kurzfristig werden diese Beträge wohl nicht steigen, das nächste TV-Paket wird nicht wesentlich dicker, sondern eher dünner sein als das Letzte. Aber es gibt noch Luft nach oben, etwa bei der Auslandsvermarktung. Da waren die Bayern und der BVB unterwegs in Asien und den USA und das kann Gold wert sein für die gesamte Liga. In diesem Bereich lassen sich die Einnahmen sicherlich steigern. Unabhängig davon sehe ich die Liga als ein absolutes Premium-Produkt, das seinen Wert selbstbewusst vertreten kann. Ein Transfer wie der von Harry Kane trägt dazu sicher bei.

Die Spieler und Klubs sind auch Vorbilder für die Kids. Wer möchte schließlich kein Fußballstar werden, oder?

CALMUND: Ein wichtiges Thema ist, dass die Fußball-Bundesliga für soziales Engagement als Vorbild oder Initiator zur Verfügung steht. Denkt nur an den Fußball: Wir haben in Deutschland rund 7,5 Mio. offizielle Mitglieder in den einzelnen Verbänden und Vereinen. Wir haben 25.000 Vereine und 1,7 Mio. Ehrenamtler, die sich jede Woche um die Kinder und das Vereinsleben kümmern, nicht nur um den Sport, sondern auch um die Betreuung – einfach um alles, was da dazugehört. Durch die 1,7 Mio. Ehrenamtler spart der Staat auf Berechnungsgrundlage des Mindestlohns ca. 6-7 Milliarden Euro.
Hinzu kommt, dass durch die Ehrenamtler diese Kinder und Jugendlichen nachweislich, durch den regelmäßigen Sport, gesundheitlich besser dastehen, was in unserer Gesellschaft ein immer größeres Problem wird. Ein weiterer positiver Einfluss zeigt sich in der Kriminalitätsquote: Die Kinder, die regelmäßig Sport treiben und dadurch regelmäßig beschäftigt sind, haben einfach weniger Zeit, um u.U. kriminell zu werden...
Das ist nicht nur ein Verdienst der Ehrenamtler und Nachwuchstrainer, sondern des gesamten Fußballs.

Wo steuert der Fußball hin?

CALMUND: Das wird sich zeigen. Das Geschäftsgebaren saudischer Klubs ist neu, wohin sie wollen, weiß ich nicht. Fußball braucht ein festes Fundament und eine funktionierende Infrastruktur mit Nachwuchs-Leistungszentren, sowie eine gesunde Rivalität unter möglichst vielen Klubs. Die wird es in den Emiraten sicherlich nicht von heute auf morgen geben. Was die klassischen Fußball-Kontinente Europa und Südamerika angeht, bin ich zuversichtlich, dass die Richtung stimmt. Wobei es immer so sein wird, dass Europa als „Gelobtes Land" das Ziel für die meisten Fußballer weltweit ist.